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Allgemein Geschriebenes

„Und wer sagt denn, dass der Chef automatisch alles besser weiß als seine Mitarbeiter?“

Wir führen Menschen.

Anfang 1982. Ich bin Fahnenjunker und komme als Frischling zum 2./FlaRakBtl 23 (2. Batterie des Flugabwehrraketenbataillons 23). Ich habe keine Ahnung. Selbst die Mannschaftsdienstgrade, viele von ihnen sind Wehrpflichtige, haben mehr Ahnung als ich. Die Unteroffiziere und die Feldwebel haben mehr Ahnung als ich. Und die Offiziere haben erst recht mehr Ahnung als ich. Mehr Ahnung von so ziemlich allem.

So langsam beiße ich mich durch und in der Achtung hoch (letzteres hoffe ich zumindest), um immerhin ein bisschen wie ein Unteroffizier (Fahnenjunker ist der Dienstgrad eines Offizieranwärters als Unteroffiziers) anerkannt zu werden. So langsam bekomme ich mehr Ahnung als viele der Mannschaften, und in manchen Fällen kann ich ein bisschen bei der Bedienung des Waffensystems mit Mannschaften und den Unteroffzieren mithalten. Ich lerne aber auch, dass die Mannschaften ihre Kniffe haben, um manchen (vielleicht nicht besonders guten) Unteroffizieren etwas vorzumachen. Und die Unteroffiziere haben so ihre Kniffe, um den Feldwebeln in manchen Dingen etwas vorzumachen. Und gegen Ende meiner Zeit in der Truppe vor meiner Kommandierung nach El Paso raffe ich, dass gerade viele Feldwebel den Offizieren beim Waffensystem ein X für ein U vormachen können. Wenn alle „happy“ sind, ist das überhaupt kein Thema. Aber wenn ein Offizier mal öfter und vor allem von der Art oder gar seinem Führungsstil her Mist verzapft, dann dauert die Reparatur einer Systemkomponente halt mal etwas länger. Oder bei der Herstellung der Einsatzbereitschaft geschieht ein kleines Missgeschick. Die Offiziere ahnen das dann zwar meist, aber wissen …

Feuerleitzug 2./FlaRakBtl 23
Feuerleitzug 2./FlaRakBtl 23

Sommer 1983. Ich komme zurück von meiner Fachausbildung in El Paso, Texas, nach Deutschland. Ich bin Leutnant und damit einer von den Offizieren. Ich trete meinen Dienst als Feuerleitoffizier und Kampfbesatzungsführer in der 2./FlaRakBtl 23 an. Ich habe inzwischen schon etwas mehr Ahnung und bin Vorgesetzter von Mannschaften, Unteroffizieren und Feldwebeln. Die Mannschaftsdienstgrade, die Unteroffiziere und die Feldwebel haben von vielen Dingen mehr Ahnung als ich. Ich bin zwar Offizier und führe sie, aber von den meisten praktischen Dingen haben sie mehr Ahnung als ich. Und ganz gewiss wissen sie Vieles von der Technik des Waffensystems mehr als ich.

Vieles wissen sie aufgrund ihrer technischen Ausbildung und ihrer Erfahrung automatisch besser als ich. Insbesondere die „alten Hasen“ unter den Feldwebeln kennen die Systeme in- und auswendig. Wenn es um die Einsatzbereitschaft der Einheit geht, bin ich in vielen Bereichen auf Gedeih und Verderb dem Wohl und Wehe meiner Leute ausgeliefert. Manchmal zeigt mir einer der Unteroffziere oder der Feldwebel auf seine eigene Art, dass ich Mist gebaut habe. Das wird seltener, aber es hört nie ganz auf. Wenn wir gemeinsam in einen Flow kommen, wenn wir uns richtig gut verstehen und uns aufeinander verlassen können, dann ist das einfach … super. Ich glaube, dass ich allmählich ein Gefühl dafür bekomme, wie jeder einzelne von uns tickt. Und wie ich ticke. Nicht zuletzt der Austausch mit den anderen, erfahreneren Offizieren lässt mich lernen, dass Wissen zwar Macht sein kann, aber nichts wissen oft auch nichts macht.

Denn es kommt bei uns „Führungskräften“ nicht auf das Fachwissen sondern auf das Führen an. Denn wir führen Menschen und nicht Wissen. Zum Führen gehören auch Zuhören, Lernen und Reagieren. Wir alle sind Teil eines Systems, in dem es nicht nur zu Steuerungen sondern es ständig auch zu Rückmeldungen und Rücksteuerungen kommt. Auf diese Meldungen und Signale gilt es zu hören, um die beste Lösung zu finden. Diese beste Lösung finden heißt oft zu akzeptieren, dass sie jemand anderes oder dass sie das Team findet, und sich darüber zu freuen.

Die einzelnen Kampfbesatzungen sind alle irgendwie anders. Die Manschaftsdienstgrade, die Unteroffiziere und die Feldwebel und der Offizier. Jedes System „Kampfbesatzung“ hat seine eigene Mikrokultur. Und jede Batterie hat seine eigene Mikrokultur innerhalb des Bataillons. Und jedes Bataillon …

Am Ende meiner aktiven Dienstzeit als Offizier glaube ich, über die Jahre eine gute Führungskultur in und mit meiner Crew entwickelt zu haben. Aber wissen, wissen tue ich das nicht.

Ich kann die Ansichten von Frank Roebers, CEO der Synaxon und militärisch ebenfalls „vorbelastet“, sehr gut nachvollziehen. Zum Beispiel diese:

Ich suche immer nach der besten Lösung. Und wer sagt denn, dass der Chef automatisch alles besser weiß als seine Mitarbeiter? Es gehen so viele gute Ideen verloren, weil Führungskräfte nicht auf ihre Mitarbeiter reagieren. Deswegen habe ich hier im Haus die ganze Führungskultur erneuert.

Frank Roebers im Interview (Unternehmenskultur: „Den Führungskräften standen die Haare zu Berge“)

Bildnachweis: Mein „OA-Stern“ (Dienstgradstern zur Kennzeichnung für Offizieranwärter der Luftwaffe), der mich für den Fall keiner Ahnung erinnert: Fresse halten.

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Von Der Schreibende (Frank Hamm)

Der Schreibende (* 1961 in Ingelheim am Rhein als Frank Hamm) ist Kultur- und Weinbotschafter Rheinhessen, Autor und Wanderblogger | #Blogger, #Jogger, #SunriseRun & #Wandern | #Rheinhessen & #Hawaii Fan. Ich lebe in der Ortsgemeinde Selzen in #Rheinhessen, ca. 15 km südlich von #Mainz. Beiträge dieses Blogs werden automatisch im Fediverse als @frank@derschreiben.de geteilt. Kommentare erscheinen nach Freischaltung beim Blogartikel. Als Person findest Du mich im Fediverse unter DerEntspannende@Digitalcourage.social. Im Blog Der Entspannende berichtet ich über das Entspannen bei Wandern, Genuss und Kultur.