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150-250-150 #LandlebenIstGeil

150-250-150. Ich liebe mein Privileg. #LandlebenIstGeil

150 Meter. So weit ist es von unserer Haustüre bis an die Selz (rechts aus der Haustür). Dort habe ich die Wahl, nach links auf dem Feldweg an der Selz entlang zu joggen, zu spazieren oder zu wandern. Oder nach rechts den schönen Weg an der Obstbaumreihe an der Selz entlang zu joggen, zu spazieren oder zu wandern.

250 Meter. So weit ist es von unserer Haustüre bis zum Ortsende (links aus der Haustür). Dort habe ich die Wahl, geradeaus zu joggen, zu spazieren oder zu wandern. Oder links hoch zu joggen, zu spazieren oder zu wandern.

150 Meter. So weit ist es noch, wenn ich mich für links hoch am Ortsende entschieden habe, und dann bin ich in den Weinbergen.

150-250-150. Das ist mein Privileg. Ab da treffe ich – je nach Uhrzeit und Wochentag – nur wenige oder gar keine anderen Menschen. Und selbst wenn, dann kann ich ihnen jederzeit ausweichen (wenn sie zu blöd sind, mir auf den 2,5 Meter breiten Wegen zumindest so 60 bis 80 Zentimeter Platz zu lassen). Rein, zwischen die Rebstockreihen. Auf die Wiesen. Oder zumindest an den Rand des Feld- oder Wirtschaftsweges. Ich bin frei und alleine – und einsam, wenn ich will. Wenn ich da in den Weinbergen oder im Tal herumrenne, dann bin ich vielleicht alleine, aber nicht zwingend einsam. Das ist eine Art der Unterhaltung und auch meine Art, wie ich auf Ideen komme. Schon immer habe ich meine besten Einfälle unter der Dusche oder in der freien Natur gehabt.

Via Natura, erweitert zur Bergkirche Udenheim

Im Home Office fällt mir durchaus mal die Decke auf den Kopf. Da draußen im 150-250-150 habe ich nie einen Anfall von Majestätix.

Ja, die Einkaufsmöglichkeiten hier auf dem Land sind beschränkt. ÖPNV ist machbar, aber … oft schwierig und umständlich. Ohne Auto geht mittelfristig eigentlich nix. Andererseits war Amazon eine Befreiung – auch wenn ich es vorziehe, online lieber woanders zu bestellen. Aber es funktioniert, mit den funktionalen Einschränkungen auf dem Land zu leben. Das entschleunigt auch, denn das Landleben erfordert mehr Planung und Geduld. Der Obsthof hat eben nicht von 8 bis 22 Uhr geöffnet. Auf dem Selzer Wochenmarkt sind inzwischen nur noch ein Obsthof und ein Feinkost-Zipp. Aber da kann man für die nächste Woche vorbestellen. Facharzt-Termine müssen unter Umständen monatelang im voraus geplant werden. Alles sollte möglichst geplant und koordiniert werden. Also quasi so wie in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts, als der Tante-Emma-Laden im Odenwald nicht immer alles da hatte. Und er nicht immer auf hatte. Da hat man auch in einer 6.000-Seelen-Ortschaft die Fahrt in die Stadt zum Kauf von Jeans geplant. Und dann hat man die Jeans genommen, die man in seiner Größe bekommen hat. Also ist es eigentlich wie früher, nur mit Amazon und Co.

Via Natura, erweitert zur Bergkirche Udenheim

Entschleunigt und eingeschränkt.

Auch hier kommt jetzt eben dieses „Aber“. Denn 150-250-150. Ich bin frei. Und wenn es meine Arbeit und mein Arbeitgeber zulassen, kann ich dieses 150-250-150 so planen und machen wie ich will. Mein Arbeit lässt das nicht immer zu, aber mein Arbeitgeber tut alles dafür. Also ich für mich.

Ich habe nie mitten in einer größeren Stadt gewohnt. Ich war immer irgendwie frei. Aber ich weiß, wie klein eine kleine Wohnung sein kann. Besonders, wenn man nicht raus kann. Wer mitten in einer Stadt wohnt, der kann jetzt mit Corona nicht einfach und nicht genug raus.

Ich versuche mir vorzustellen, sich zu dritt oder zu viert in einer 70- oder 80-Quadratmeter-Wohnung arrangieren zu müssen, wenn man nicht einfach so 150-250-150 kann. Es fällt mir schwer. Selbst, wenn die Wohnung größer und man alleine wäre. Ich weiß nicht, ob ich da nicht auch durchdrehen würde.

Aber ich habe mein Privileg. 150-250-150.

Meine Kultur und meine Abwechslungen bestehen aus Musik hören, Lesen, Aufführungen schauen, Konzerte schauen. Halt nicht in einem Saal, halt nicht zusammen mit vielen Leuten zusammenhocken. Auch nicht mit vielen Leuten zusammenhocken, um etwas zu trinken, zu quatschen und zu diskutieren. Zu viele Menschen machen mir zu viel Lärm, denn oft ist da zu viel Lärm um Nichts dabei. Na ja, mein Batteriechef hatte mir schon in meine erste Beurteilung reingeschrieben, ich sei ein „junger introvertierter Offizier“. Ich kann auch mit vielen Leuten was machen, aber ich muss nicht.

In den Weinbergen bei Udenheim In den Weinbergen bei Udenheim In den Weinbergen bei Udenheim

Ach ja, Kultur. Früher, damals, konnte man auch nicht einfach mal so in seinem Wohnzimmer zig Konzerte geben und über dieses Internet dieses „Streaming-Dingens“ machen. Und früher, damals, hätte ich mir diese Konzerte auch nicht einfach mal so ansehen können, gerne auch später irgendwann. Heute gibt es Hope@Home. Damals hat man sich Wochen oder Monate im Voraus Karten besorgen müssen. Und dann hat sich dieser Depp von Sänger eine Erkältung geholt. Na ja, soll es auch heute noch geben, sowohl ohne als auch mit diesem Corona.

Da, in unserem Dorf, und dort, in dieser Natur, treffe ich viele Leute. Nicht auf einmal, aber immer mal wieder. Bekannte Menschen, unbekannte Menschen. Langweilige Menschen, blöde Menschen, interessante Menschen. Man grüßt sich über den Zaun, quatscht ein wenig über dies und über jenes. Man trifft sich in den Weinbergen oder an der Selz, vollkommen Fremde, der eine wie ich beim Joggen oder Wandern, der andere beim Spazieren gehen oder Hund ausführen, und man kommt nach einem ersten abschätzenden „Hallo“ ins Quatschen. Oder halt nicht. Ein Hoch auf die Serendipität.

Bergkirche Udenheim Felder bei Hahnheim

Die Landeshauptstadt Mainz ist 15 km nördlich von hier. In den letzten Jahren war ich nicht mehr so oft dort. Es ist nicht mehr die provinzielle Studentenstadt mit Charakter und Flair, wie ich sie aus den Achtzigerjahren in Erinnerung habe. Liegt wahrscheinlich an mir, möglicherweise am Alter. Ich glaube, ich war zuletzt im Mai kurz dort, weil ich mir Wanderschuhe geholt habe. Aber das letzte Mal davor war wohl letztes Jahr. Ich vermisse Mainz nicht.

Mein Leben, unser Leben, ist hier und jetzt und mit unseren Freunden und Freuden.

Eigentlich ist fast alles wie immer.

150-250-150. Ich liebe mein Privileg.

#LandlebenIstGeil

P.S. Weil es mir gefällt, und weil ich dadurch auf die Idee zu diesem Beitrag kam, hier noch ein Lesetipp: „Privileg.“ von der Odenwälderin. Passenderweise im LandlebenBlog.

Sonnenuntergang beim Biotop an der Selz bei Hahnheim

P.P.S. Mehr Fotos von draußen bei uns gibt es bei „Via Natura Hahnheim und zur Bergkirche Udenheim„.

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Von Der Schreibende (Frank Hamm)

Der Schreibende (* 1961 in Ingelheim am Rhein als Frank Hamm) ist Kultur- und Weinbotschafter Rheinhessen, Autor und Wanderblogger | #Blogger, #Jogger, #SunriseRun & #Wandern | #Rheinhessen & #Hawaii Fan. Ich lebe in der Ortsgemeinde Selzen in #Rheinhessen, ca. 15 km südlich von #Mainz. Beiträge dieses Blogs werden automatisch im Fediverse als @frank@derschreiben.de geteilt. Kommentare erscheinen nach Freischaltung beim Blogartikel. Als Person findest Du mich im Fediverse unter DerEntspannende@Digitalcourage.social. Im Blog Der Entspannende berichtet ich über das Entspannen bei Wandern, Genuss und Kultur.