Medien zeichnen die journalistische Darstellungsform ihrer Artikel oft nicht aus.
Schon vor meiner Zeit als Blogger las ich viel. Als Blogger sogar noch mehr. Aber erst in meinem PR-Studium wurde mir die Systematik von journalistischen Darstellungsformen so richtig klar. Ich glaube, dass ich einen Artikel dahingehend recht gut einordnen kann, sobald ich einige Absätze gelesen habe.
Aber wie geht das einem Otto Normalleser? Weiß er um die journalistischen Darstellungsformen? Kann er Artikel einordnen? Indirekt wird er das vielleicht schon irgendwie können. Bewusst wird es ihm aber vermutlich nur selten. Vor allem deswegen, weil ich im Alltag feststelle, dass “die Medien” kaum von einer Auszeichnung mit der Darstellungsform Gebrauch machen.
Beispiel: Auf der Startseite der Süddeutschen Zeitung steht oft noch die Darstellungsform des Artikels in einem kleinen Kasten (z.B. “Analyse”, “Kommentar”, “Ratgeber”). Im Artikel selbst steht dann keine Einordnung mehr. Die meisten Leser werden auch bei der Süddeutschen aber direkt auf den Artikel über Suchmaschine, Soziales Netzwerk etc. stoßen.
Ich bin überzeugt, dass sich viele Leser der verschiedenen Darstellungsformen gar nicht bewusst sind. Sie dürften einen Artikel auf einer Nachrichtenseite/Medium meistens “irgendwie” als “Nachricht” einstufen – eben, weil es eine Nachrichtenmedium ist. Selbst, wenn es sich bei dem Artikel um einen Kommentar handelt. Und später schimpfen sie über die einseitige Berichterstattung. Oder sie gelangen gar zur Überzeugung, die da gehörten alle zur “Lügenpresse”.
Möglicherweise stufen viele Leser die Glaubwürdigkeit von Nachrichtenseiten generell herab, weil sie aufgrund von einzelnen Artikeln auf das gesamte Medium schließen. Bei einem Meinungsartikel wie einem Kommentar ist die Einseitigkeit aber Teil der Darstellungsform. Dass es zu dem Thema weitere Artikel mit anderen Darstellungsformen (Nachricht, Analyse, Bericht, Interview) gibt, nehmen Leser vermutlich oft nicht wahr.
Zwar gibt es bei einigen Medien – eben beispielsweise auch bei der Süddeutschen Zeitung – am Ende noch eine Liste weiterer Artikel zum Thema (und dort steht die Darstellungsform auch mal dabei). Aber wer wird sich dann noch die Mühe machen zum Durchklicken? Oder wer achtet dann schon auf das kleine Kästchen, selbst wenn es (also er der Leser oder sie die Leserin) darauf klickt? Und schließlich gibt es nach meiner Wahrnehmung immer mehr Artikel, die in mehrere Darstellungsformen einzuordnen mehr als geignet sind.
Letztendlich stelle ich fest, dass ich als Blogger die Darstellungsform/Stilform meiner Artikel auch nicht ausweise. Ich weiche der Verantwortung aus und behaupte, ich habe einfach nicht genügend Reichweite. Das würde dann in einer Relevanzdiskussion münden.
Sicherheitshalber deklariere ich diesen Artikel als Leitartikel. Damit vertrete ich nicht nur die Meinung des Verfassers des Artikels (“Kommentar”) sondern sogar die der Mehrheit der Redaktion des Schreibenden. Möglicherweise landet dieser Artikel aufgrund meines Wortgebrauchs auch in der Kategorie der Glosse. Da dies ein Meinungsartikel eines einzelnen, mir oft bekannten Publizisten (ich!) ist, bestehe ich sogar auf die Einordnung dieses Artikels als Kolumne. Für ein Essay wiederum hielte ich eine Einordnung für geradezu verwegen.
Ach, das ist schon ganz schön kompliziert mit diesen journalistischen Darstellungsformen. Wenn selbst ich das nicht auf die Reihe bekomme, wie sollte ein Medium wie die Süddeutsche Zeitung das also auf die Reihe bekommen…