Es ist Dienstag, und ich fahre mit dem ungeliebten Bus von Selzen zum Mainzer Hauptbahnhof. Immerhin brauche ich dadurch nicht umzusteigen, und ich sehe auch etwas von Mainz.
Beispielsweise sehe ich kurz vor den Uni-Kliniken zwei aufgestellte Plakatwände. Auf der linken Plakatwand ist Julia Klöckner zu sehen, wie sie sich etwas ansieht. Ein Slogan steht da:
Flüchtlingszahl reduzieren
Darunter steht noch:
Wissen, wer zu uns kommt. Entscheiden, wer bleiben darf. Zurückschicken, wer gehen muss.
Für mich ist das eine klare konkrete Aussage, was Klöckner tun will (oder tun lassen will).
Rechts davon auf der anderen Plakatwand ist Malu Dreyer zu sehen, wie sie ein Kind anlächelt. Das Mädchen lächelt zurück. Ein Claim steht da:
Offenheit
Für mich ist das eine klare konkrete Aussage, welche Haltung Dreyer vertritt.
Operatives Handeln versus Werte
Der Slogan „Flüchtlingszahl reduzieren beschreibt ein operatives Handeln. Warum Klöckner dieses Handeln will, lässt sich aus diesem Slogan nicht erkennen. Zu viele Begründungen, zu viele Werte können „dahinter“ stehen.
Dreyer lässt offen, was getan werden soll. Ihr Claim nagelt sie jedoch auch fest darauf, dass sie mit zukünftigem Handeln nicht gegen diesen Wert verstoßen sollte. Egal, wie die Umstände in einer Situation sind, gegen ihre Werte sollte sie nicht verstoßen (nicht, dass es keine Politiker und Menschen gäbe, die es nicht trotzdem täten).
Mir persönlich ist es mittel- bis langfristig wichtiger, welche Werte jemand oder eine Organisation vertritt, als welche konkreten Handlungen jemand durchführt. Wer ohne Werte oder ohne Bezug auf Werte handelt, der ist für mich unkalkulierbar. Diejenige Person, die so oder so handelt, wird in der gleichen Situation zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht ganz anders handeln. Denn vielleicht wird jemand Erwartungen an diese Person haben und konkret beanspruchen. Und diese Person wird den Umständen Rechnung tragen.
Beispielsweise den Umständen, dass ein Koalitionspartner oder ein Großteil der Wählerschaft Forderungen stellt. Dass jemand etwas will und nur dann die Stimme entsprechend abgibt … und wählt. Dass ein „Stakeholder“ seinen Pflock in den Boden rammt und sagt: „Ich will das so und so, ansonsten verlierst Du meine Unterstützung, oder ich mache Zoff!“.
Und das nennt man in der Gesellschaft und der Politik dann möglicherweise Populismus.
Wer jedoch Werte vertritt, der wird (oder sollte zumindest) authentisch bleiben. Okay, authentisch sind auch gewisse Politiker, von denen man weiß, dass sie immer populistisch sind. Dass sie immer dem Stimmenvieh mit ihrem Handeln oder ihren Forderungen nach dem Mund reden.
Doch mir sind Werte wichtiger als dumpfes Handeln, bloß weil ein konkretes Problem zwickt oder auch richtig weh tut. In der konkreten einzelnen Situation können mir die Werte von jemandem – gleich ob Politiker oder Führungskraft – weh tun, weil daraus sich konkrete Handlungen ableiten. Handlungen die mir weh tun. Aber so weh es mir auch tut, ich weiß warum. Und das Warum halte ich für gut oder für schlecht.
Das hat etwas mit Haltung, mit Werten und mit daraus abgeleitetem ethischem Handeln zu tun. Aber nur so herum funktioniert das mit der Ableitung.
Einen netten Slogan haben Sie da, Frau Klöckner.
Jetzt habe ich doch tatsächlich auf „Slogan“ und „Claim“ herumgeritten…
Der Claim ist mehr konstituierend und langfristiger angelegt. Ein Claim sollte über Jahre im Einsatz bleiben und feste Orientierung bieten. Er leitet sich aus der Mission des Unternehmens oder der Positionierung eines Produkts ab. Er hat die Aufgabe, den besonderen Geist der Mission/Positionierung auf einen kurzen signifikanten Nenner zu bringen und das entsprechende Feld zu besetzen. […]
Der Slogan ist mehr aktivierend und kann kurzfristiger angelegt sein. Im Extremfall könnte ein Slogan nur für einen Einsatztag gelten. „Slogan“ kommt aus dem Schottischen und bedeutet frei übersetzt soviel wie „Schlachtruf“.
( Klaus Schmidbauer: Feiner Unterschied zwischen Slogan und Claim )
Manchmal kann aber auch nachhaltiges Handeln gewisse Werte vermuten lassen. Beispielsweise so, dass mich eine Bundeskanzlerin ziemlich positiv überrascht.
Wohingegen ich zunehmend weniger überrascht bin vom Handeln zweier Parteien, von denen man vermuten könnte, sie würden sich von christlichen Werten wie Barmherzigkeit leiten lassen – wo doch schließlich das „Christlich“ in ihrem Parteinamen enthalten ist.